Nach dem Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012, in dem die medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines einwilligungsunfähigen Jungen als strafbare Körperverletzung klassifiziert wurde, haben die Mitglieder des Deutschen Bundestages am 19. Juli 2012 in der Sommerpause anlässlich einer Sondersitzung zum Eurorettungsschirm eine Resolution verabschiedet. In dieser spricht sich der Bundestag für ein noch in diesem Jahr zu verabschiedendes Gesetz aus, das Beschneidungen von Jungen aus religiösen Gründen zukünftig legalisieren soll. Diese Resolution wurde nach heftigen Reaktionen von nationalen und internationalen Religionsvertretern aller Konfessionen und nach deutlicher Kritik aus dem Ausland - insbesondere unter Berücksichtigung der deutschen Vergangenheit - verabschiedet.
Die Initiatoren der Petition vermissen jedoch eine ausgewogene Debatte unter Berücksichtigung nicht nur der Religionsfreiheit und des Elternrechtes, sondern insbesondere des Rechtes der Kinder auf körperliche Unversehrtheit. Eine solche gesellschaftliche und politische Debatte wurde beispielsweise rund um das Recht auf gewaltfreie Erziehung bis 2001 geführt.
Die Entfernung der Vorhaut ohne entsprechende Indikation ist aus medizinischer Sicht eine sehr belastende und irreversible Operation. Es existieren zahlreiche Studien zu diesem Thema, die keine Evidenz für eine Gesundheitsdienlichkeit als mögliche Rechtfertigung dieses Eingriffs im Sinne des Kindeswohls zeigen konnten.
Die Zirkumzision ist eine schmerzhafte und belastende Operation, die wie jeder andere chirurgische Eingriff, mit Risiken behaftet ist. Der Fall, der dem Kölner Urteil zugrunde lag, zeigt dies deutlich, denn der 4-jährige Junge kam wegen starker Nachblutungen in die Notaufnahme eines Krankenhauses.
Die Vorhaut hat wichtige Funktionen:
Sie ist ein Reserve- und Gleitgewebe für Erektion und Koitus
Der Hauptanteil der genitalen Sensibilität liegt im inneren Vorhautblatt
Sie ist Ort wichtiger zellulärer Abwehrmechanismen (Plasmazellen, Langerhans-Zellen)
Sie dient der aktiven Sekretion von Pheromonen (Sexualstoffen)
Besonders die Zirkumzision an neugeborenen Jungen ist als besonders schwerwiegend anzusehen, da dort zuerst die Verklebung der Vorhaut mit der Eichel (Preputialverklebung, vergleichbar mit der Verklebung eines Fingernagels mit seinem Bett) erst zu lösen ist, dieser Vorgang ist äußerst schmerzhaft, zudem besteht die Gefahr von Narbenbildung und Verwachsungen.
„Es ist wichtig zu wissen, dass Beschneidung keine Voraussetzung für die jüdische Identität ist. Entsprechend der jüdischen Gesetze übernimmt das Kind den Status der Mutter. Wenn die Mutter jüdisch ist, wird der Junge auch jüdisch, unabhängig davon, ob er beschnitten ist oder nicht“, so Eran Sadeh, Gründer von Protect the Child, Israel.
Komplikationen und Spätfolgen der Beschneidung
Jeder operative Eingriff birgt das Risiko möglicher Komplikationen. Beschneidungen sind ganz und gar nicht als „gänzlich unbedenklich“ zu bezeichnen. Hauptrisiko nach einer Beschneidung ist in erster Linie das Auftreten einer Nachblutung. Auch Wundinfektionen können auftreten. Nach Beschneidungen im Neugeborenenalter können Stenosen der Harnröhrenöffnung auftreten.
Beschneidungen von Jungen ohne Narkose bzw. ohne adäquate Schmerzausschaltung erfüllen den Tatbestand der Kindesmisshandlung. Bei Beschneidungen in Narkose kommt das Risiko möglicher Komplikationen durch die Anästhesie (z.B. allergische Reaktionen, irreversible Hirnschäden, Tod) zum OP-Risiko hinzu.
Selbst unter Beachtung medizinischer Standards treten bei etwa zwei Prozent der Fälle postoperative Komplikationen auf.
Wie sieht es mit den Schmerzen aus?
Das schmerzunterdrückende System ist erst einige Monate nach der Geburt funktionstüchtig, d.h. Säuglinge empfinden mehr Schmerzen als Erwachsene. Der Schmerz bei der Beschneidung verändert das Gehirn nachhaltig. Es kann sich ein Schmerzgedächtnis bilden. Studien haben gezeigt, dass ohne ausreichende Therapie beschnittene Kinder bei späteren Impfungen mehr Schmerz empfinden.
Haben Menschen im Babyalter große Operationen mit Schmerzerlebnissen erlitten, brauchen sie bei Eingriffen im späteren Kindesalter mehr Anästhetika. Ihre Schmerzgrenze ist signifikant niedriger. Es liegt nahe, dass sie für später die Gefahr chronischer Schmerzen größer ist, so Prof. Dr. Boris Zernikow, Chefarzt und Lehrstuhlinhaber, Deutsches Kinderschmerzzentrum und Kinderpalliativzentrum Datteln, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke.